Von unternehmerischen Serien-Tätern, erfolgreichen Serial-Entrepreneurs, kann man lernen, wie neue Unternehmen, Produkte und Märkte gemacht werden und Unternehmen wieder unternehmerischer werden - sie sind Experten für unternehmerische Wirksamkeit.
Serial-Entrepreneurs (Mehrfachgründer), die als Serientäter ein oder mehrere erfolgreiche Unternehmen gründeten, zeigen uns, wie sie das geschafft haben: Sie haben pragmatische und universelle Denkmuster kultiviert, mit denen es ihnen möglich ist, ohne großes Risiko Neues in einer höchst ungewissen Welt zu erschaffen. Mit „Effectuation“, der unternehmerischen Methode, gestalteten sie Zukunft, anstatt sie vorherzusagen – und das Gute daran ist, es ist lernbar.
In welcher Welt wollen wir leben? Unsere Kinder werden derzeit unter dem Eindruck größerer Unsicherheit und Ungewissheit groß, mit einem härteren Wettbewerb und vielleicht einem größerem Zwang zum Verzicht konfrontiert, als wir und unsere Eltern es in unserer Kindheit zumeist erlebt haben. Mit den derzeitigen Modellen und Methoden können wir keine exzellente, umfassende (Aus)bildung, keine sicheren Arbeitschancen, keine sichere Altersversorgung usw. mehr garantieren.
In einer solchen turbulenten und komplexen Welt sind unsere Erfahrungen nur beschränkt erfolgreich wiederholbar und – wenn überhaupt – gültig. Dies gilt in gleichem Maße für unsere Unternehmen wie für unsere Business-Pläne: Wir, unsere Unternehmen und unsere öffentlichen Organisationen müssen wieder unternehmerischer werden, egal, ob wir als Eigentümer einer Firma oder als Angestellter in einer Abteilung agieren. Dies ist essentiell, um in einer ungewissen Zukunft bestehen zu können. Ein Lösungsangebot dafür bietet die aktuelle Entrepreneurship-Forschung aus der Praxis erfolgreicher Serial-Entrepreneurs.
Von der Wissenschaft in die Praxis
Saras Sarasvathy (Professorin an der University of Virginia) deckte während ihrer Doktorarbeit bei Herbert Simon die Handlungsprinzipien erfahrener Unternehmer auf: Wie sich zeigte, denken und handeln diese anders, als z. B. an Wirtschaftsschulen gelehrt wird. Etliche Jahre später gibt es nun ein ständig wachsendes Theorie- und Praxisgerüst zu Effectuation1. Das dazu entwickelte Meta-Modell ist interdisziplinär, wie Entrepreneurship an sich, und lehr- und lernbar.
Am Beginn standen Sarasvathy’s Interviews mit erfolgreichen Unternehmern: Die Protokolle und Auswertungen zeigten Gemeinsamkeiten, wie die Serial-Entrepreneurs Probleme lösten und Entscheidungen trafen. Entsprechende Unterschiede zu Managern, MBA- und Marketingstudenten u. a. konnten empirisch in weiteren Studien nachgewiesen werden.
Die Erkenntnisse aus Forschung und Lehre sind mittlerweile sehr gut belegt und bilden mit fünf Prinzipien und einem dynamischen Prozessmodel eine rationale Denklogik – Effectuation ist somit eine wissenschaftlich erforschte und praktisch erprobte Logik unternehmerischen Denkens und Handelns unter Unsicherheit um neue unternehmerische Artefakte, wie z. B. neue Märkte, Produkte, Geschäftsideen und -modelle, sowie Unternehmen zu ko-kreieren. Die unternehmerische Methode funktioniert dort am besten, wo eine hohe Ungewissheit herrscht, ein Überfluss an nicht priorisierbaren Informationen vorhanden ist und sich keine fixen Ziele ausmachen lassen.
Die zugrundeliegenden mentalen Modelle (Heuristiken) erfahrener Unternehmer unterscheiden sich wesentlich von denen unerfahrener Unternehmer und klassischer Manager. Effectuation erhebt dabei keinen absoluten Anspruch als universelles Erfolgsrezept, ist jedoch eine gute Richtschnur dafür, wie man unter Situationen großer Ungewissheit sowohl Risiken minimieren kann als auch stets handlungsbereit und umsetzungsfähig ist.
Erfahrene Unternehmer haben ein Wissen darüber entwickelt, wann welche Methoden zu den besten Resultaten führen können: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu schaffen“, wusste schon Peter F. Drucker. Mit dieser Aussage bringt er „Effectuation“ auf den Punkt. Als Effectuation-Experte könnte man heute sagen: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist sie gemeinsam zu erschaffen!“.2
Wie erfahrene Unternehmer denken, lässt sich am besten im direkten Vergleich zur klassischen und kausalen Managementtheorie erklären – damit können auch die Unterschiede in den Denkansätzen klarer dargestellt werden.
Im Leben gibt es nur selten ein „entweder – oder“, sondern meistens ein „sowohl – als auch“. So ist dies auch bei den Denkmodellen: Ab einer gewissen Firmengröße, zu verschiedenen Zeitpunkten, je nach Kontext oder auch bei einer leichten Vorhersagbarkeit von Märkten ist ein kausales Vorgehen notwendig. Die besten Unternehmer beherrschen jedoch beide Modelle – sie bevorzugen jedoch Effectuation. Sie haben gelernt - aus eigener Erfahrung - wann welche Denkweise wirksamer ist.
Klassisches Management-Denken ist ziel- und ressourcenorientiert – die Frage ist also, welche Mittel und Ressourcen werden benötigt oder sollen eingesetzt werden, um ein vordefiniertes Ziel zu erreichen. Es kann sein, dass nicht nur die Ziele festgelegt sind, sondern auch die zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen – Manager versuchen daher, mit diesen die optimale Lösung zu finden, um ein Ziel zu erreichen. Kausales Denken muss nicht unbedingt kreativ sein, bedeutet aber, dass in einem Puzzle immer nur das eine fehlende Teil gesucht oder der Versuch gestartet wird, es richtig zusammenzusetzen.
Effectuation beinhaltet jedoch von Natur aus ein kreativeres Denken: Bei Effectuation startet der Unternehmer nicht mit einem fixen Ziel, sondern mit gegebenen Mitteln – Ziele werden durch die zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen und durch Interaktion mit anderen herausgebildet. Sie fügen also kein Puzzle zusammen, sondern nähen (ko-kreieren) einen Patchwork-Teppich mit unterschiedlichen und scheinbar nicht zueinander passenden Teilen zu einem wahren Kunstwerk zusammen – sie sind mittel- und ergebnisorientiert.
Planung ist nur so gut, wie die Zukunft und somit ein Risiko einschätzbar ist. Die Zukunft ist zwar immer unsicher, doch gibt es nicht nur eine Art von Unsicherheit: Es ist selten, dass man bei Unsicherheiten, z. B. in der Produktentwicklung, im Markt usw., genug Zeit hat, die tatsächlichen Marktgegebenheiten herauszufinden.
Normale Planung versagt jedoch total, wenn sie auf Ungewissheit trifft: Hier helfen weder das Wissen über Wahrscheinlichkeiten (Risiken) noch klassische Marktforschung (Unsicherheiten), denn die Struktur und Verteilung des Markts ist vollkommen unbekannt und ungewiss. Das ist auch der Grund, warum Effectuation dort, wo ein neuer Markt und ein neues Produkt zusammentreffen, besonders erfolgreich ist: Es ist der Ort, wo (Marketing-)Manager Schweißausbrüche bekommen und Entrepreneurs sich wohlzufühlen beginnen – im „Todesquadranten“ der Produkt-Markt-Matrix.Effectuation stellt uns dafür fünf Prinzipien zur Verfügung:
Die Prozess-Logik des Effectuation-Denkmodells drückt sich vor allem im letzten Prinzip deutlich aus: Es kombiniert die anderen Prinzipien, indem eine Kontrolle der Zukunft ohne Prognose ausgeübt wird. Erfahrene Entrepreneurs trauen daher keiner Prognose , sie vertrauen ihrer Erfahrung und den Aspekten, die sie selbst kontrollieren können, wie z. B. selbst den ersten Kunden zu finden und mit ihm gemeinsam ein neues Marktsegment zu schaffen oder ein Produkt vermarktbar zu machen.
Ein illustratives Beispiel ist das Eishotel, welches im Herbst aus Eis und Schnee errichtet wird: Mittlerweile an Standorten in Skandinavien und Nordamerika, ist es ein Beispiel dafür, wie ein Markt, ein Produkt und eine Marke aus dem Nichts erschaffen werden können.
Die Gründungsstory des Eishotels durch Nils Bergqvist am ersten Standort in Schweden in Jukkasjärvi, nur ca. 200 km nördlich des Polarkreises, liest sich dabei mehr als abenteuerlich: Bergqvist schuf nicht nur eine völlig neue touristische Erlebnis- und Hotelkategorie komplett aus Eis, sondern kreierte in einer kommerziell unerschlossenen Region eine touristische Nachfrage (Markt). Gleichzeitig ermöglichte es ihm jene Entwicklung, dass sein Unternehmen, das im Sommer Flusstouren anbot, auch im Winter Touristen anziehen konnte und gleichzeitig die Region belebte. Da zunächst keiner an die Idee glaubte, Bergqvist es aber trotzdem schaffte, daraus ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu konstruieren, stellt sich die Frage, wie ihm dies gelungen ist.
Eine Antwort findet sich in den Prinzipien von Effectuation: So war Bergqvist fähig, einen vermeintlichen Nachteil der Region (Klima, Kälte, Eis und Schnee) in einen Vorteil für sein unternehmerisches Konzept zu verwandeln.
Genauso konnte er Zufälle für sich nutzen: Bei einem Eis-Skulpturen-Wettbewerb in Japan stieß er auf Eis als Baustoff – eine Ressource, die er logischerweise auch in Schweden für sich nutzen konnte. Einige der Gäste übernachteten dabei während einer Ausstellung spontan in der „Artic Hall“ – einem Iglu, komplett aus Eis. Der letztendliche Erfolg kam allerdings durch Partnerschaften mit einem japanischen Reisebüro und der bekannten Eisbar in Kooperation mit Absolut Vodka: Über die Jahre wurden die Ice Hotel-Gebäude immer komplexer und größer, und mittlerweile gibt es weltweit über neun ähnliche Konzepte.
Was bedeutet das für alle Unternehmer und den Rest von uns?
Das kausale Management-Denken in vielen alltäglichen und unverändert bekannten Situationen bleibt wichtig. Jedoch ist vor allem unter ungewissen Bedingungen durch Effectuation ein flexibleres, kreativeres und risiko-ärmeres Handeln möglich: Dies macht zusätzliche Gelegenheiten nutzbar und löst auch Widersprüche, z. B. zwischen Zielen und Innovationen (Möglichkeiten), auf.
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1 eine eigenständige Entscheidungslogik, die von erfahrenen Entrepreneuren in Situationen der Ungewissheit bevorzugt eingesetzt wird – Effectuation lässt sich als Umkehrung kausaler Logik, die auf Vorhersage der Zukunft basiert, beschreiben
2 Zum Beispiel mittels Ko-Kreation und sich selbst einbringender Partner und Kunden.